Wir schreiben das Jahr 2050. Ich sitze mit meinem Mann (67 Jahre) gemeinsam im Wohnzimmer, wo meine Enkeltochter heute ihren vierten Geburtstag feiert. Nennen wir sie Rebekka. Sie ist das erste und einzige Kind meiner Tochter Maxi. Purzelchen und ihr Sohn Alef (8 Jahre) klingeln gerade an der Tür und kommen mit einem kleinen Geschenk für ihre Nichte herein…
Dieser Beitrag wird von der Initiative „SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht.“ unterstützt. Er wurde von mir eigenständig redaktionell entwickelt.
2015 – Willkommen in unserem hohen Lebensstandard
Gerade noch habe ich aus dem Jahr 2019 einen Brief an mein 11-jähriges Ich geschrieben, schon stelle ich mir ein Zukunftsszenario vor. Meine Töchter Maxi und Purzelchen (heute 6 und 5 Jahre alt) sind inzwischen selbst erwachsen und haben ihre eigene Familie gegründet. Dabei fiel ihre Entscheidung bewusst auf nur ein Kind, so wie es die meisten ihrer Freundinnen und Freunde auch tun. Kinderreiche Familien werden immer seltener, denn wie sagt man so schön „Das stärkste Verhütungsmittel der Welt ist der Wohlstand“.
Ich: „Hallo, schön das ihr da seid. Ihr seid ja pünktlich auf die Minute. Seid ihr mit dem Auto hergeflogen?“
Alef, sichtlich aufgeregt: „Nein, wir haben uns Hoverboards ausgeliehen und es war einfach meeeeeega!“
Rebekka: „Das habt ihr nicht wirklich?! WOW!“
Mein Mann: „Puh, passt mal bloß auf euch auf. Warum muss es immer das neumodische Zeug sein, nehmt doch lieber einen E-Trolly, damit sind wir heute wieder hergekommen.“
Rebekka: „Oh Mama, darf ich auch mal fliegen?“
Alef: „Das darf man aber erst mit 8.“
So spinnt sich mal wieder eine Diskussion übers Fliegen zusammen. Mein Mann ist noch immer kein Fan von den viele Schwebezeugen. Ihm waren schon Flugzeuge nie geheuer, aber mit einem Magnetauto wird er wohl nie schweben. Jetzt ist er 67 und noch nie geschwebt. Mir selbst geht das ganz anders: Seit Schwebezeuge ohne Lenkrad und Fahrer unterwegs sind, fahre ich echt gern damit und guck dann meistens eine Folge Friends während der Fahrt.
Es klingelt erneut, doch diesmal ist es die Wand. Meine Eltern schicken uns Fotos aus der Karibik, die wir uns direkt auf der Wand anschauen können. Es sind 12 Stück, die ich mit der Hand durchblättere. Wirklich schön. Wir geben alle einen Daumen nach oben, die Wand erkennt es und übermittelt es meinen Eltern. Die schicken eine Voicemail zurück, die ich direkt abspiele:
„Viele Grüße vom Meer! Nächstes Jahr müsst ihr alle mitkommen. Alles Gute zum Geburtstag Rebekka von Uroma und Uropa!“
Rebekka winkt und die Bilder verschwinden wieder von der Wand. Alef macht es sich auf dem Sofa bequem und holt sein Handy heraus, das er auseinanderfaltet und auf den Tisch legt.
Alef: „Mama, kann ich meine VR-Brille aufsetzen? Fabi fragt, ob wir eine Runde Futurenight zocken wollen.“
Purzelchen schüttelt den Kopf: „Nee, deine VR-Zeit hast du schon vorhin aufgebraucht. Das reicht für heute. Außerdem sind wir jetzt bei Rebekka und wollen mit ihr feiern.“ Purzelchen geht ins Nebenzimmer, wo gleichzeitig das Licht und die Fußbodenheizung angehen. Sie holt eine Schere und kommt zurück.
Purzelchen: „Na los Geburtstagkind. Pack dein Geschenk aus!“
Medizinische Versorgung – Nichts leichter als das
Wie immer hat es sich Purzelchen nicht nehmen lassen, das Geschenk so extrem mit Geschenkband zu verknoten, dass man es kaum auseinanderfitzen kann. Sie hat zu Hause einen Replikator, der verschiedene Bänder aus einzelnen Atomen und Molekülen zusammensetzt. Einerseits ist es absolut übertrieben, andererseits bin ich davon überzeugt, dass sich diese Technik sicher bald im großen Stil durchsetzen wird. Derzeit sind Replikatoren nur kleine Spielereien.
Rebekka: „Auuuuua!“
Und schon ist es passiert. Rebekka hat sich in den Finger geschnitten und es blutet heftig. Ein Mediziner taucht als Hologramm auf und wirft einen Blick auf die Wunde, doch es ist nicht weiter schlimm.
Mediziner: „Das heilt schnell wieder. Reinigen Sie die Wunde mit Wasser, desinfizieren Sie sie und im Anschluss verschließen Sie die Wunde mit einem Pflaster.“
Maxi sagt in die Luft: „Einmal Pflaster nachkaufen.“
Noch während sie das Desinfektionsmittel aus der Schublade im Nebenraum kramt, schiebt eine Drohne von außen eine Packung Pflaster durch den Paketschlitz. Mein Mann steht auf, holt die Pflaster und klebe eins auf den verwundeten Finger.
Dann packt Rebekka ihr Geschenk aus.
Die weite Welt des „Virtuell“ Reality
Rebekka: „Wahnsinn, Mama, guck mal!! Eine Kinder VR-Brille… “
Maxi: „Och Leute! Nee, echt jetzt? Dafür ist sie doch noch zu klein.“
Rebekka: „Ich bin schon groß! Und alle meine Freunde haben schon eine!“
Purzelchen: „Maaaxi, chill mal. Alef hatte seine auch schon mit 3. Und erstens habe ich eine Kindersicherung reingemacht und zweitens kann man darauf richtig gute Lernsoftware laufen lassen. Alef lernt mit seiner Brille zum Beispiel Französisch.“
Alef: „Bonjour, comment allez-vous aujourd’hui ?“
Purzelchen: „Komm, stell dir vor, wir hätten als Kinder kein Smartphone gehabt!“
Maxi: „Da waren wir 10 oder 11.“
Purzelchen: „Echt?… Naja egal, lass mal nicht streiten. Dann hat sie halt jetzt schon eine und das beste kommt ja noch: Ich habe einen Ausflug organisiert.“
Mein Mann: „Ich beweg mich heute keinen Schritt mehr!“
Purzelchen: „Musst du auch nicht. Wir machen einen Holo-Ausflug nach Kenia. (Blick auf die Uhr). Oh! Wir sollten langsam mal los.“
Ich: „Schon wieder Kenia? Da ich dieses Jahr schon fünfmal…“
Purzelchen: „Ihr seid auch immer so viel auf Achse; da ist es schwierig was zu finden, wo ihr noch nicht wart.“
Rebekka: „Wie geht das jetzt?“ Sie dreht die Brille in der Hand.
Ich: „Um 18 Uhr müssen wir aber zurück sein. Ich hab´ nachher noch Klassentreffen.“
Mein Mann: „Oh, du musst heute noch weg? Wo trefft ihr euch?“
Ich: „Wir treffen uns einfach im Video-Chat. Einige sind nicht mehr so gut zu Fuß und man muss sich ja nicht immer solche Umstände machen.“
Stimmt. Nun geht´s aber erstmal auf Safari in Afrika und obwohl Maxi nicht so gut findet, dass Rebekka nun auch eine VR-Brille hat, ist sie gespannt, was die kleine Maus sagen wird. Alle setzen ihre VR-Brillen auf; Rebekka zögert zunächst etwas, weil sie bisher tatsächlich VR-frei aufgewachsen ist und sich nun nicht recht traut. Dann aber siegt die Neugier. Sie setzt ihre Brille auf und schwupps steht sie neben ihren Eltern auf heißem, staubigem Boden vor einem Oldtimer.
Rebekka: „Sind wir jetzt wirklich hier?“
Sie lässt ihren Blick über den Van gleiten, die Steppe, den Boden, ihre eigenen Füße. Sie dreht die Hände langsam hin und her.
Ich: „Nein, wir sind nur Hologramme. Das ist wie telefonieren, Rebekka. Wenn deine Mama zum Beispiel auf Dienstreise ist, dann kann sie ja auch als Hologramm neben dir am Tisch sitzen und ihr könnt reden.“
Rebekka: „Aber sie kann dann nichts mitessen.“
Ich: „Ja, das geht nicht. Aber da ist man trotzdem – nur eben als Hologramm.“
Bei der Safari fährt uns ein echter Fahrer durch den Nationalpark. Wir sind nur Hologramme, können aber alles sehen, sogar die großen 5: Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard. Rebekka macht ganz intuitiv mit ihrer VR-Brille einige Fotos, die sie direkt virtuell in der Cloud ablegt und später ihren Freunden zeigen will. Sie weiß, dass die Freunde schon eine Gruppe gegründet haben. Für 4-jährige ist das eine Selbstverständlichkeit, sie sind Digital Natives.
Zurück zu Hause: einmal durchchecken und gute Nacht
Purzelchen und Alef müssen eher wieder los, sie wollen noch ins Sternenkino. Dabei legt man sich auf die Hoverboards und schwebt in der Luft. Die Leinwand wird über den Menschen am Himmel aufgezogen und man hat einen gigantischen Blick auf jeden Fall. Seit im Jahr 2030 die umweltfreundliche Kernfusion (nicht zu verwechseln mit der Kernspaltung) realisiert werden konnte, sind die vielen technischen Neuerungen auf unserem Planeten kein Problem mehr.
Rebekka muss nun langsam ins Bett. Sie geht Zähne putzen und man hört das leise Surren des Badezimmerspiegels, der in dieser Zeitspanne einmal ihre Gesundheit durchcheckt. Sie darf auf dem Spiegel während des Putzens noch ein kleines Minigames spielen, bei dem sie einen Schmetterling mit den Augen bewegt und er Blumen aufsammelt, die Punkte bringen. Nach drei Minuten piept der Spiegel. Mit der Gesundheit ist alles in Ordnung.
Vor dem Schlafen darf Rebekka noch einen kurzen Film schauen, weil schließlich ihr Geburtstag ist. Sie legt sich ins Bett und schaut an die Decke. Drei Gesichter in der linken Ecke verraten, dass ihre Freundinnen aus dem Kindergarten auch gerade was gucken.
Maxi: „Willst du mit jemandem zusammen schauen?“
Rebekka: „Jaaaaaaa“.
Maxi: „Den Film starten, den Moni schaut.“
Auf der Decke dreht sich ein Kreis, dann kommt eine automatische Meldung „Anfrage abgelehnt.“
Rebekka: „Vielleicht Fynn?“
Maxi: „Den Film starten, den Fynn schaut.“
Dieses Mal wird die Anfrage angenommen. Rebekka kann Fynn zuwinken und er winkt zurück. Der Film läuft schon seit 16 Minuten, die Kinder quasseln. Maxi stellt den Timer auf 20 Uhr, dann wird der Film von allein stoppen und die Kinder haben noch 3 Minuten, sich zu verabschieden, bevor die Decke wieder weiß wird.
Noch ein bisschen chillen
Mein Mann und ich räumen im Wohnzimmer auf, aber da wir die meiste Zeit auf Safari waren, hält sich das Chaos in Grenzen. Der kleine Aufräumroboter bringt noch den Müll raus. Ich setze mich aufs Sofa und setze meine eigene VR-Brille auf. Monis Mama hat mir eine Nachricht hinterlassen: > Sorry, dass wir vorhin das gemeinsame Fernschauen nicht angenommen haben. Moni muss morgen früh raus und der Film war schon fast zu Ende.< „Alles gut“, sag ich und schau in der Gruppe meiner Freunde vorbei.
Auf meiner Netzhaut tauchen lustige Gifs und Memes auf, ein Kumpel schickt Fotos von seinem selbst gebackenen Kuchen, alle geben einen Daumen hoch und ich auch. Ich sehe das zwei Freundinnen mit mir gerade online sind und wir beginnen zu quatschen. Dann tippt mich mein Mann an und ich verabschiede mich für heute. Wir wollten noch zusammen einen Film schauen. Als erstes bloggen wir alle Anfragen ab, stellen uns auf nicht erreichbar und genießen dann die Ruhe zu zweit mit unserem Film.
Was bedeutet diese Zukunft für uns?
Zurück ins Jahr 2019. Unsere Welt verändert sich schon heute extrem. Ein Smartphone hat bereits mehr Rechenleistung als die NASA 1969, im Jahr der Mondlandung. Und die Entwicklung schreitet tatsächlich immer weiter voran. Heute mögen wir die Grenze zwischen virtueller und realer Welt vielleicht noch gerade so ziehen können, aber wenn unsere Kinder groß sind, sind diese schon extrem miteinander verschmolzen.
Die Frage ist: Können wir diese Zukunft annehmen und positiv auf uns wirken lassen oder schotten wir uns ab, weil wir Angst vor den Veränderungen haben? Ich denke, es wird immer wichtiger sein, Medienkompetenz richtig vorzuleben und die Kinder für Datenschutz, Cybermobbing, Cyberkriminalität aber auch Mediensucht zu sensibilisieren. Eine digitale Abstinenz wird nicht die Lösung sein, denn die Weichen für eine wie oben beschriebene Zukunft sind bereits gelegt. Sie wird sehr wahrscheinlich auf uns zukommen.
In einem anderen Beitrag habe ich humorvoll über 10 verschiedene Medien-Elterntypen geschrieben, die es auch in Zukunft natürlich geben wird. Egal, ob du heute schon ein Smarthome hast oder VR-Games spielst, in Zukunft werden solche Themen nochmal richtig krass an Bedeutung gewinnen. Wie viele Menschen wollten nie ein Smartphone haben, als die Geräte eingeführt wurden? Und dann hatten doch fast alle eins.
Aufgrund des technischen Fortschritts werden unsere Kinder komplett anders leben als wir jetzt – Verlieren wir nicht den Anschluss, bleiben wir offen und aufgeschlossen für Neuerungen, denn so bleiben wir auch mit unseren Kindern besser in Kontakt. Wer Medienkompetenz vermitteln will, sollte sie schließlich auskennen.
*Grundlage für den Artikel ist ein Artikel aus der Welt über das Buch „Die Physik der Zukunft“ von Michio Kaku
Eine schöne Vision, obwohl ich auch immer mehr Leute treffe, die mir erzählen: „..wir haben keinen Fernseher und nutzen das Internet auch eher selten“. Es bleibt also spannend, was sich mit der Zeit durchsetzt und gerade im medizinischen Bereich ist eine Erleichterung sehr wichtig, denn das ist ja derzeit kein Zustand, wenn man ein medizinisches Problem hat.
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Hallo Nadja,
vielen Dank für deinen Kommentar. Tatsächlich kenne ich auch einige Menschen ohne Fernseher (klassisches Fernsehen habe ich auch nicht), allerdings fällt mir gerade niemand ohne Internet ein. Wie zu jeder Zeit gibt es auch heute einige „Aussteiger“, die bewusst auf Medien verzichten, aber ich denke trotzdem, dass die Digitalisierung weiter heftige Fortschritte machen wird und die meisten Menschen mitziehen werden. Die Fortschritte gerade im medizinischen Bereich werden tatsächlich eine große Bereicherung sein und uns sehr helfen. Da ist schon heute Beeindruckendes möglich, was vor ein paar Jahren noch undenkbar war.
Viele Grüße
Nadine
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