Warum Vereinbarkeit 2022 gar kein Thema sein sollte

Kürzlich las ich bei Sarah im Mutter-und-Sohn-Blog einen Beitrag zur Vereinbarkeit auf dem Land, der mich gedanklich weiter beschäftigt. Ob Stadt oder Land, Ostdeutschland oder Westdeutschland: 2020 gab es in Deutschland etwa 33 Millionen Erwerbstätige und nahezu die Hälfte davon waren Frauen (46 %), so eine Statistik der Arbeitsagentur – Wie die Zahlen zeigen, darf es in unserem Jahrhundert gar kein Thema sein, dass Frauen arbeiten. Sie tun es längst. Aber unter welchen Bedingungen zum Teil …

Sarah beschreibt in ihrem Artikel eine unfassbar anstrengende Betreuungssituation, die ich ebenso in Bonn erlebt habe. Kaum wurde Maxi ein Jahr alt, fühlten wir uns wie im Casting bei Germanys Next KiTa-Kind: hunderte Bonner Kinder „kämpften“ um einen von vielleicht vier oder sechs KiTa-Plätzen je nach Einrichtung. Die Chancen standen schlecht und wir erhielten damals keinen Platz, nicht einmal in der Uni-Kita, obwohl wir zu dem Zeitpunkt noch beide Studierende waren und die KiTa nur einen Katzensprung entfernt lag.

Maxi musste im Jahr darauf erneut antreten … Und gewann einen von sechs begehrten Plätzen in einer sehr schönen KiTa in Bonn Endenich! Aber mit Öffnungszeiten von 7:30 bis 14:00 Uhr …

Wie soll das denn funktionieren?

KiTa-Öffnungszeiten aus der Hölle

Sarah nennt es in ihrem Beitrag „Betreuung light“. Ich sage, es sind „Öffnungszeiten aus der Hölle“. Die Zeiten haben uns das Leben als Familie extrem erschwert. Mein Mann hatte nach seiner Elternzeit eine Arbeit in einem Schulhort mit Arbeitszeiten von 12-17 Uhr gefunden. Ich selbst arbeitete in einem Universitätsprojekt, das ich aufgrund der geringen Betreuungszeit von 40 Stunden auf 30 Stunden reduzieren musste (!).

Die Anzahl der Personen im Haushalt hatte sich verdoppelt, aus 2 Personen wurden 4 Personen. Und das Gehalt? Wovon leben 4 Personen, wenn die beiden Erwachsenen nur eingeschränkt arbeiten können? Interessanter Weise ist das Double-Income eigentlich politisch gewollt und vor allem der Fachkräftemangel trägt dazu bei, dass Unternehmen über jede Stunde dankbar sind, die ihre Fachkräfte arbeiten – ob Eltern oder nicht.

Warum schließen dann Kindertageseinrichtungen um 14 Uhr? Oder sogar schon 12:30 Uhr wie Sarah aus ihrer süddeutschen Provinz berichtet?

Die Kinder im Blick! Die Kinder im Blick?

Böse Zungen werden fragen, warum man seine Kinder so lange betreuen lassen möchte. Ich persönlich habe erst letztes Jahr folgenden Artikel geschrieben: „11 Gründe, warum Familien KiTas lieben (sollten)„. Meine Kinder haben die KiTa-Zeit geliebt und ich selbst habe auch viele positive Erinnerungen. KiTas sind ein Geschenk.

Aber mal ein anderer Blickwinkel: wie schön ist eine Abholzeit um 14 Uhr wirklich für so kleine Kinder?

Aus der Praxis kann ich sagen: NICHT schön! Die kleinen Jungen und Mädchen werden nämlich um zwei Uhr nachmittags in der Regel aus ihrem Mittagsschlaf geweckt. Ihnen wird also die Zeit für ein gemütliches Aufwachen verwehrt. In ihrem kindlichen Tempo umziehen, auf Toilette gehen, anziehen? Nein.

„Komm Spatz, es ist schon spät! Mach mal bitte mit! Wir müssen uns jetzt wirklich beeilen! Die KiTa schließt gleich und die Erzieher*innen wollen auch nach Hause.“

Eine Abholzeit um 14:00 Uhr bedeutet, dass Kinder in ihrer wichtigen Mittagsruhe gestört werden und die VESPER als Nachmittagssnack verpassen, der sich für gewöhnlich an die Schlafenszeit anschließt und für Kinder ein positiver Übergang vom Mittagsschlaf in den Nachmittag darstellt. Äpfelchen, Brot oder Gurkenscheiben – die Minis knabbern sich zurück in den Tag, werden satt und gestärkt und haben Zeit zum Entspannen, bevor es wieder weitergeht.

Von daher finde ich eine Abholzeit ab frühestens 15:00 Uhr sinnvoll. Natürlich abhängig vom jeweiligen Kind. Warum? Ich denke, mit einer etwas späteren Abholzeit erhalten Kinder die notwendige Ruhe und Zeit, die sie nach dem Mittagsschlaf brauchen. Übertragen wir unseren Stress nicht auf die Kleinsten! Gut gestärkt finden sie danach ins Spiel – vielleicht noch in der KiTa mit ihren Freunden, vielleicht auch schon mit den Eltern. Oder an einem Tag so, am anderen Tag so.

Es mangelt nicht am Bedarf.

In einem Artikel der Süddeutschen „Warum viele Mütter nicht arbeiten – obwohl sie wollen“ geht es genau um dieses Problem. Im Artikel heißt es, dass Mütter häufig eingeschränkter in der Stellensuche sind, „weil sie keine langen Pendelwege in Kauf nehmen können, und […] deswegen schwerer eine passende Stelle“ finden. Ein weiterer Grund wird genannt: „Oder sie wollen ihre Stunden zwar grundsätzlich ausweiten, aber können nur zu einer Zeit mehr arbeiten, die für den Arbeitgeber nicht passt.

Hier noch eine Statistik über Teil- und Vollzeitarbeit bei Müttern und Vätern mit minderjährigen Kindern:

Statistik: Vollzeit- und Teilzeitquote von erwerbstätigen Männern und Frauen mit minderjährigen Kindern im Haushalt im Jahr 2019 | Statista
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Die Teilzeitquote bei den Müttern ist zwar recht hoch, aber jede dritte Mutter arbeitet Vollzeit. Haben diese die besseren KiTa-Öffnungszeiten?

Zugegeben mag der Bedarf zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland oder zwischen Stadt und Land unterschiedlich groß sein, seine Kinder längere Zeitspannen in die KiTa zu geben. Wie mein Beispiel und das Sarahs zeigen, aber auch der Artikel aus der Süddeutschen Zeitung verdeutlicht, gibt es durchaus Eltern, die so eine Betreuung wollen und brauchen. Wahrscheinlich ist: Eltern arrangieren sich.

Eltern basteln sich eine Betreuung um die Betreuung.

Sie basteln die Betreuung um die Betreuung im Idealfall mit familiärer Unterstützung, im Worst Case (weil teuer und ggfls. unzuverlässig) mit Babysittern und Au-pairs. Auch wir haben uns in Bonn mit der Schließzeit arrangiert – immerhin hatten wir im zweiten Anlauf einen KiTa-Platz bekommen und schmolzen vor Dankbarkeit dahin. Was wollten wir mehr?

Eine längere Betreuung! Aber wir arrangierten uns:

  • ich kürzte die Stunden,
  • wir lebten sparsam
  • und suchten nach Babysittern.

Es ging schon irgendwie, es musste ja gehen. Vor allem aber berufliche Nachmittagstermine verursachten großen Stress selbst mit einem guten sozialen Netz, denn wer kann Nachmittags um 14 Uhr meine Kinder aus der KiTa abholen? Niemand. Um diese Zeit arbeitet jeder. Selbst unsere Babysitterin sagte meistens ab, weil sie um 14 Uhr ihre Vorlesungen in der Uni besuchte.

Was ist eigentlich mit den Erzieher*innen?

Wenn eine KiTa nur bis 14 Uhr geöffnet ist (oder bis 12:30 Uhr), mag man sich das Leben einer Erzieher*in chillig vorstellen: welch angenehm früher Feierabend! Dabei vergisst man, dass damit auch den Erzieher*innen die Möglichkeit der Vollzeitarbeit verbaut wird, was mit weniger Lohn einhergeht. Wollen das alle? Oder arrangieren sie sich ebenfalls?

Eine Frage für den Elternrat, die KiTa und die Stadt

Eltern sind gestresst von der Situation und allzu oft fehlt ihnen die notwendige Energie, die es für dieses wichtige Anliegen braucht. In Dresden leben wir nun zum Glück anders, wie ich nach unserem Umzug beschrieben habe: Szenen aus Ost-West: Ticken wir noch anders? Die Betreuungsfrage stellt sich in Dresden gar nicht, zumindest nicht für Menschen mit gängigen Arbeitszeiten. KiTas haben in der Regel von 6-18 Uhr geöffnet oder fragen zumindest einmal jährlich den Bedarf der Eltern ab: Wie lange braucht ihr eine Betreuung?

Ich rate betroffenen Eltern mit den anderen Eltern der KiTa in Kontakt zu treten. Am einfachsten klappt es über den Elternrat, der sich vielleicht auch schon einmal mit dem Betreuungsengpass auseinandergesetzt hat? Wenn man es schafft, einen recht konkreten Bedarf zu ermitteln – wie viele Eltern haben Probleme mit den frühen Schließzeiten? – lassen sich die Argumente anschließend mit der KiTa-Leitung erörtern. Oder sogar mit der Stadt.

Mich würde interessieren:

  • Warum sind die Öffnungszeiten so gering?
  • Wollen nicht einige der Erzieher*innen auch mal am Nachmittag arbeiten und damit mehr verdienen?
  • Was spricht gegen einen Spätdienst und Frühdienst?
  • Welche Lösung können Eltern, Erzieher*innen und KiTa-Leitung erarbeiten?

Im Idealfall kümmern sich die Papas um das Anliegen und brechen damit die Klischees auf: Kindererziehung ist eben keine Frauensache und das Betreuungsproblem betrifft Väter – das sollte in den KiTas noch sichtbarer werden.

deine

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2 Kommentare zu „Warum Vereinbarkeit 2022 gar kein Thema sein sollte

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  1. Danke, Nadine,
    ein toller Beitrag – ich freue mich, dass dir mein Kommentar dazu die Anregung gegeben hat! Ja, „Kita-Casting“, „Betreuungszeiten aus der Hölle“ und für Kinder wie berufstätige Eltern anstrengende Bedingungen erschweren tatsächlich völlig unnötigerweise das Leben als Familie. Es ist wichtig und notwendig, das immer wieder klar zu zeigen und Alternativen zu fordern!
    Herzlichen Gruß, Sarah

    Gefällt 1 Person

    1. Danke Sarah, ich finde deine Beiträge oft inspirierend – tatsächlich werde ich schon demnächst noch ein Thema aufgreifen, das ich bei dir entdeckt habe. Es lohnt sich auf jeden Fall, denke ich, für bessere Bedingungen für Familien zu kämpfen und sich dabei eine Scheibe vom Osten abzuschneiden, auch wenn das sicherlich nur widerwillig passieren wird. Es ist aber notwendig.

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